Waren die in Deutschland lebenden Türken zu meiner Kindheit für mich Exoten, sind sie heute ein fest integrierter Bestandteil der Gesellschaft, Arbeitskollegen und Freunde. Vor allem den Bürgern des Ruhrgebietes ist die türkische Kultur nicht fremd. Wir kaufen Obst und Gemüse und der Döner ist mittlerweile schon ein wenig zur Nationalspeise der Deutschen avanciert. Lachmacun, Mercemek und Börek sind auch keine Fremdwörter mehr, doch ganz so viel wissen wir in Wirklichkeit oft nicht. Viele verbringen zwar ihren Urlaub an
Antalyas riesigem Küstenabschnitt, der Besucher mit tollem Wetter im Süden der Türkei lockt. Oft bleiben die Hotelgäste dort aber unter sich und schwärmen im Anschluss von Stränden, Wetter und vor allem dem Essen. Dann gibt es noch Istanbul, Europas größte Metropole am Bosporus, ein Schmelztiegel zwischen Orient und Okzident, zusätzlich auch die ländliche Grenze zum asiatischen Kontinent. Ein Städtetrip nach Istanbul ist immer eine Reise wert und mittlerweile auch kein Geheimtipp mehr. Nur 3 % der Türkei liegen auf europäischen Boden, der viel größere Teil ist das Tor zum Orient. Genau den Teil wollte ich kennenlernen. Wo stammen die Familien meiner Freunde und Bekannten her? Wie sind Kultur, Menschen, Landschaft oder das Essen?
Die Wurzeln vieler türkischstämmiger Familien, die sich auf Grund des Bergbaus im Ruhrgebiet angesiedelt haben, befinden sich in der Schwarzmeerregion im Norden der Türkei. Eine Region über die die wenigsten Leute hier irgendwas wissen. Schade, denn es gibt einiges zu berichten, allen voran die unbeschreibliche Gastfreundlichkeit, die einem entgegen gebracht wird.
Wie erreicht man überhaupt die Schwarzmeerküste?
Mit dem Flieger geht es natürlich am einfachsten. Doch die meisten Flieger von Deutschland fliegen nach Istanbul oder Ankara, beides nicht direkt in der Nähe, aber schon mal ein guter Ausgangspunkt für die Weiterreise. Züge fahren in der Türkei nicht. Mietwagen gibt es, aber deutsche Fahrkenntnisse sind aus meiner Sicht nicht ausreichend, um ein Fahrzeug durch eine türkische Großstadt zu steuern, es sei denn man ist angstfrei. Das günstigste, bequemste und am besten getaktete Reisemittel in der Türkei ist der Reisebus. Über die gesamte Türkei gibt es ein System an Omnibuslinien, die jedes noch so entlegene Dorf anfahren. Und vertraut mir, das funktioniert wirklich. Es macht sogar richtig Spaß, denn die Busse sind so modern und der Service ist so umfangreich, wie wir ihn schlicht nicht kennen. Jedes Dorf hat einen Omnibusplatz und die Konkurrenz ist groß, was die Preise purzeln und den Service steigen lässt. In Istanbul und Ankara gibt es zentrale Busbahnhöfe, von denen aus die Reise angetreten wird. Die Tickets können vor Ort erworben werden, eine Buchung über das Internet ist auch möglich. Ich habe beides getestet, funktioniert gut. Von Istanbul benötigt man knapp 6 Stunden mit dem Bus, von Ankara bis zur Schwarzmeerküste, je nach dem in welche Stadt man will, sollte man 4 Stunden einplanen.
Eine weitere Option bietet Germania Airlines an. Diese fliegen vom Frühling bis zum Herbst zwei mal wöchentlich von Düsseldorf in die Provinzhauptstadt Zonguldak (Cayuma). Viele pensionierte Türken verbringen den Sommer traditionell in der Türkei. Das hat zur Folge, dass die Hinflüge von Beginn bis Mitte des Jahres teuer sind, die Rückflüge zur gleichen Zeit auf Grund der schwachen Auslastung günstig. Im Herbst verdreht sich der Effekt und frühes buchen zahlt sich aus. Die Flüge müssen allerdings über die Fluggesellschaft selbst gebucht werden oder über türkische Reisebüros, da die gängigen Suchmaschinen die Flüge nicht anzeigen.
Die wichtigsten Städte an der mittleren Schwarzmeerküste
Zonguldak – Zonguldak ist die Provinzhauptstadt und Universitätsstadt und präsentiert sich offen und modern, ist allerdings im Zentrum ein bisschen verbaut. Meine beiden Lieblingsorte sind der Leuchtturm mit dem Fener Restaurant und einer tollen Sonnenterasse, samt Panoramaausblick. Und die Promenade unter dem Leuchtturm. Die Promenade liegt ein wenig versteckt, lockt aber mit einem ursprünglichen Café und tollen Bademöglichkeiten. Einheimische tauchen an den Steinwänden nach Miesmuscheln und verkaufen diese auf Nachfrage für ein paar türkische Lire. Ich habe noch nie so frische und günstige Muscheln gegessen. Zusätzlich bieten die Wellenbrecher und einige Klippen tolle Sprungmöglichkeiten in das glasklare Wasser des Schwarzen Meeres.
Eregli - Eregli ist eine Küstenstadt mit ca. 100.000 Einwohnern und besticht durch ihre Hanglage und die kompakte aber quirlige Innenstadt, nirgends habe ich eine bessere Mercemek gegessen. Eregli ist über das Bussystem gut zu erreichen und verfügt über ein zentralen Busbahnhof. Neben der Innenstadt lohnt ein Besuch im historischen Hamam, das an der Promenade liegt und nicht zu verfehlen ist, die charakteristischen Kuppeln des Dampfbades sind schnell auszumachen. Das Hamam verfügt zudem über eine kleine Sauna, die kostenlos mit genutzt werden kann. Einen traditionellen Hamambesuch kann man mit einem Saunabesuch in Deutschland nicht vergleichen. Die Dampfbäder haben schon einige Jahre auf dem Buckel, aber genau das ursprüngliche macht den Reiz aus. Tätowierte Touristen bekommen sie dort vermutlich selten zu Gesicht, ich wurde aber freundlich empfangen und habe mich gefühlt wie im Märchen aus 1001 Nacht. Zum spazieren und verweilen lädt die Promenade ein, die schon ausgebaut ist. Hier schlendern Liebespärchen und Familien, in den Cafés wird bei einer Partie Backgammon Cay oder Mokka geschlürft, dies hat was sehr erholsames. Abends besteht die Möglichkeit in einem der vielen Fischrestaurants am Wasser zu essen. Dorade, Sardine und Hamsi, kleine frittierte Fische, komplettieren dort das kulinarische Angebot.
Bartin - Bartin mit seinen knapp 50.000 Einwohnern wirkt viel größer als die Einwohnerzahl es vermuten lässt. Grund dafür sind wahrscheinlich die steilen Berge, die Bartin umgeben. Wer in die Innenstadt will, parkt am besten auf einem der öffentlichen Parkplätze und schlendert über den sehenswerten Gemüsemarkt in Richtung Einkaufsstraße. Die Gemüsemärkte in der Türkei sind eine Besonderheit. Es gibt nicht wie bei uns große Wagen und wenige Anbieter. Dort sitzen die Bäuerinnen mit der selbst angebauten Ware und preisen diese an. Oft gibt es zusätzlich noch selbstgemachten Joghurt oder eingelegtes Gemüse. Der Anblick der frischen und gewaschenen Ware lässt jeden Koch nervös werden. Auch der angebotene Fisch wird schön präsentiert. Insgesamt wirkt alles ein wenig ungeordnet, aber genau das hat seinen Charme und feilschen kann man mit den Verkäufern auch.
Die Einkaufsstraße erinnert sehr an westliche Fußgängerzonen, alles nur ein wenig kleiner. Die Seitenstraßen der Innenstadt sind gesäumt von Straßencafés. Dort findet das soziale Leben statt und schnell merkt man, dass Bartin eine Universitätsstadt ist. Das Publikum ist jung und modern. Nimmt man in einem der Cafés platz, bleibt es selten bei nur einem türkischen Tee, der aus kleinen Glastassen und möglichst süß getrunken wird. Auch in Bartin gibt es relativ zentral ein Hamam. Dieses befindet sich in einem für Bartin typischen alten Holzhaus in einer Seitenstraße der Fußgängerzone. Bartin ist also eine Stadt der kurzen Wege und definitiv einen Besuch wert, denn diese Stadt lebt förmlich.
Was geht ab an der Schwarzmeerküste?
Inkumu Beach - Inkumu Beach hat mich überrascht. Von Bartin erreicht man den Strand in 20 Minuten, mit dem Bus fährt man nur wenige Minuten mehr. Nach der letzten Kurve und dem auftauchenden freien Blick auf Strand und Meer kommt es automatisch zu einem WOW-Effekt. Inkumu Beach ist ein sicherlich zwei Kilometer langer, feiner Sandstrand. Dieser liegt von den umliegenden Bergen relativ windgeschützt und verspricht ein Stranderlebnis wie auf Mallorca.
Zahlreiche Verpflegungs- & Verkaufsstände bieten alles mögliche an. Von Eis über Bier, von der Postkarte bis zur Luftmatratze, alles am Start. Auch einige kleine Hotels stehen am Ende der Bucht und bieten Übernachtungsmöglichkeiten an. Am besten gefallen hat mir allerdings der Simit-Lieferservice. Die kreisrunden Sesamgebäcke werden auf langen Stöcken von Verkäufern direkt am Sonnenplatz angeboten, man brauch eigentlich nur aufstehen, um sich von der Sonne im Wasser abzukühlen. Inkumu ist perfekt für einen Tagesausflug, was am Wochenende allerdings viele türkische Familien aus der Region tun, sodass es voll werden kann.
Amasra - Das kleine Fischerdorf Amasra mit seinem gleichnamigen Castle ist die Perle der Region. Zahlreiche Bettenburgen auf dem Weg nach Amasra zeugen davon, was in diesem kleinen und beschaulichen Örtchen in der Hauptsaison los ist. Im Stadtkern selber befinden sich allerdings keine Hotelburgen, was die Atmosphäre dort richtig mediterran wirken lässt. Amasra wirkt wie ein Magnet und versprüht ein bisschen Hollywoodflair an der Schwarzmeerküste. In Amasra wird nämlich gefeiert. Dafür kommen am Wochenende vor allem junge und neureiche Besucher aus der ganzen Region. Die Clubs erinnern stark an Ausgehmöglichkeiten in Westeuropa, getanzt wird allerdings häufig zu türkischem Schlager, nicht selten auch live und mit viel Herzschmerz präsentiert. In Amasra gibt es zahlreiche Cafés und Restaurants, zusätzlich wird im Hafen frischer Fisch in allen Variationen zum Verzehr angeboten.
Aus dem Hafen starten die Ausflugsboote. Für kleines Geld fahren zig Anbieter raus aufs Meer und entlang der Küste wieder zurück nach Amsara, dessen historischer Stadtkern auf einer kleinen Landzunge liegt. Im Anschluss schlendern die Besucher durch die Souvenir-Einkaufsstraße, auf der es vielerlei Kram zu kaufen gibt. Was in Amasra nicht so schön ist, ist der Strand. Der ist ziemlich klein und stark frequentiert, da liegt man in Inkumu deutlich besser.
Essen und Lebensmittel
Das Essen in den ländlichen Regionen der Türkei ist einfach, aber dafür umso leckerer. Vieles wird im heimischen Garten angebaut und für den Winter eingemacht. Das Frühstück erinnert doch sehr an spanische Tapas oder griechische Mezes, kleine Schalen mit verschieden Gemüsesorten und Käse werden serviert. Abends gibt es oft Fleisch oder Fisch, nicht selten wird vorab eine Suppe gereicht.
In den Restaurants gibt es zu jeden Gericht einen großen Salatteller und frisches Brot. Ein Restaurant nicht satt zu verlassen, ist eigentlich nicht möglich.
In jedem noch so kleinen Dorf gibt es einen Supermarkt. Große Ketten, wie man sie bei uns kennt, sucht man vergebens. Die Türken kaufen beim Kaufmann an der Ecke, die Auswahl ist in allen Bereichen groß. Zusätzlich gibt es 2 Mal in der Woche einen Markt. Der Marktbesuch dient nicht nur dem Einkauf, sondern auch dem Austausch mit Nachbarn und Freunden. Mindestens ein Cay trinkt man bei jedem Besuch, egal zur welcher Zeit, egal wo und zu welchem Anlass. Oft wird zum Cay ein Simit gereicht, das kreisrunde Sesambrot oder anderes Gebäck.
Gastgeschenke vs. Gastfreundlichkeit
Mein Tipp: Fahre niemals in die Türkei, ohne zumindest ein kleines Gastgeschenk im Gepäck zu haben. Nicht weil es von dir erwartet wird, aber überall wo man erscheint, wird man so freundlich empfangen und eingeladen, dass man sich ärgert, wenn man nichts dabei hat. Kinder freuen sich über Süßigkeiten, Erwachsenen geht es weniger um Brauchbares, sondern eher um die Geste. So öffnen sich Türen und auch ohne ein Wort Türkisch entstehen kommunikative Zusammenkünfte.
Wer seinen Lieben aus der Türkei etwas mit nach Hause bringen möchte, der findet am Flughafen eigentlich nur Nippes. Türken bringen ihren Familien und Freunden oft sehr süßen türkischen Honig und ähnliche Sachen mit, die wir schon beim ersten probieren mit Zahnschmerzen in Verbindung bringen.
Überall wird auch das Auge Allahs angeboten, bestehend aus drei Kreisen in blau und weiß. Mir ist es folgendermaßen erklärt worden: Wer ein Auge Allahs bei sich trägt oder dies als Geschenk erhält, genießt stets den Schutz und die Aufmerksamkeit des Gottes. Es ist quasi ein Glückbringer. Im Internet stehen aber noch weitere Bedeutungen, wichtig ist ja, was man selbst damit verbindet. Ich finde es zumindest besser als Honig oder Nougat.
Fazit
Viele Türken die man in der Region trifft sagen: Istanbul ist nicht die Türkei. Die richtige Türkei beginnt dahinter. Istanbul ist für sie eine Stadt der Sünde, wenn sie zeitgleich aber sehr stolz auf Europas größte Metropole, samt all ihrer Sehenswürdigkeiten sind. Natürlich ist das Leben in der Schwarzmeerregion nicht so fortschrittlich wie in der Stadt, aber wer denkt, die Leute wohnen hinter dem Mond, der irrt gewaltig. Wie bei uns benutzt dort jeder wie selbstverständlich sein Handy und auch WLAN ist, egal wie weit man auf dem Land unterwegs ist, kein Fremdwort mehr. Es läuft einfach alles ein bisschen langsamer, was gerade im Urlaub nach kurzer Eingewöhnung eine tolle Erfahrung sein kann.
Ich freue mich schon jetzt auf den nächsten Besuch an der Schwarzmeerküste und sende meinem Freund Burhan samt Familie an dieser Stelle beste Grüße! Lass uns bald wieder buchen, es gibt viel zu tun – ja, ja, jippie jippie yeah :-)!